Über Berge ans Meer nach Sydney

Wir freuen uns, der Empfehlung unserer letzten Gastgeber gefolgt zu sein: Nie im Leben wären wir sonst diese Route nach Canberra gefahren - durch den Kosciusko National Park und die Snowy Mountains. Nach einer langsam ansteigenden Strecke durch dichte Nadelwälder schlängeln wir uns nun eine schmale, steile Passstraße durch nicht enden wollenden Eukalyptuswald hinauf. Vor nicht allzu langer Zeit muss hier ein Buschfeuer gewütet haben - über weite Kilometer sind alle Bäume verkohlt. Von der hiesigen Fauna lässt sich leider nichts blicken, kein Beutler, kein Vogel weit und breit - es ist ganz schön einsam hier.
   Verlassen präsentiert sich dann auch Cabramurra, das legendäre Skizentrum und auf 1500 Meter der am höchsten gelegene Ort Australiens, lustig weht nur die Nationalflagge vorm Visitor Center. Hier oben pfeift ein eisiger Wind, uns ist zum ersten Mal auf diesem Kontinent so richtig kalt. Nach einem kleinen Rundgang durch den ausgestorbenen Ort - auf einer einzigen Terrasse eines schmucken Holz-Chalets lässt sich kurz ein Mensch blicken und schlüpft sofort wieder nach innen - erfreut uns der Anblick eines geöffneten Curio- und Coffee-Shops am Parkplatz. Etwas zum Aufwärmen ist jetzt genau das Richtige. Das kleine Café entpuppt sich beim Betreten als riesige Selbstbedienungsrestaurant-Halle im typischen Plastik-Look. Hier dürften an die dreihundert Menschen Platz finden - wir sind die einzigen Gäste. Das gemütliche Eckchen mit den weichen Sesseln am Fenster gehört uns - mitten im Curio-Bereich und mit Parkplatz-View auf unser einsam dastehendes Auto. Cappucino gibt's auch - in monströsen Bechern, die uns der kauzige Kassierer sogar an den Tisch bringt. Wahrscheinlich ist ihm langweilig. Zwischen Plüsch-Koalas, Ölgemälden von verschneiten Bergen, bunten Wolldecken, Plastik-Didgeridoos und anderem ortstypischen Souvenir-Sammelsurium rasten wir ein Weilchen, ehe wir uns wieder auf den Weg machen, bergab und in Richtung Landeshauptstadt.
   Erfreulicher als die Sichtung eines toten Wombats im Straßengraben finden wir die Begegnung mit den Oldies, Fahrer wie Fahrzeuge, die im Konvoy wohl Canberra ansteuern. Ebenso erfreulich ist dann auch dank der klaren Reißbrettarchitektur die Orientierung in dieser Stadt - unser Hotel, wieder mal ein Crowne Plaza, finden wir auf Anhieb. Innen fühlt man sich erinnert an Filme über Hochsicherheitstrakte von Zuchthäusern: Zehn Stockwerke bilden mit ihren zahllosen Zimmern ein Carree um einen geschlossenen Innenbereich, wo man den Leuten von oben beim Abendessen zugucken kann. Das Fenster in unserem Zimmer lässt sich nicht öffnen - möglicherweise hat sich schon mal der eine oder andere Gast hinausgestürzt. Dafür sind im Schrank zwei flauschige Bademäntel und Frottee-Schlappen. Wir ignorieren sie und flüchten in eine Pizzeria schräg gegenüber unserem Hotel im Freien, die wir bei der Ankunft entdeckt haben. Hier ists gemütlich, der Abend lau und die Bedienung total nett.

   Auch wenn wir nicht die ausgesprochenen City-Freaks sind - auf Sydney freuen wir uns richtig. Auf der Direttissima, dem Highway, sind wir heute unterwegs und erreichen unsere Station für die nächsten zwei Tage nachmittags. Das Hotel, das wir auch diesmal sofort finden, liegt zentral, einen Katzensprung vom Fährhafen entfernt. Hier fühlen wir uns auf Anhieb wohl - irgendwie sieht's auf den Gängen aus wie auf der Titanic - und in unserem Zimmer darf auch noch geraucht werden. Da das Wetter gerade nicht zu einem größeren Stadtbummel einlädt, statten wir dem Aquarium unseren ersten Besuch ab - es liegt mal eben zwei Ecken weiter und steht ohnehin ganz oben auf unserer To-do-Liste.
   Hier tauchen wir für knappe drei Stunden ein - wieder mal viel zu kurz, aber um 19 Uhr wird geschlossen - in eine bunte, zauberhafte und faszinierende Unterwasserwelt. Der Rundgang teilweise in Glasröhren mitten durch die großräumigen Bassins geben uns das Gefühl, selbst Teil dieses Lebensraums zu sein: Auge in Auge mit Riff- und Ammenhaien, auf Tuchfühlung mit riesigen Rochen und Schildkröten, die allesamt ruhig ihre Bahnen ziehen. Ein ausgesprochener Hektiker ist das Schnabeltier gleich im ersten Raum, ununterbrochen wuselt es durchs Becken - ein verdammt schwieriges Fotoobjekt.
   Ein Abendessen irgendwo ums Eck zu ergattern, gestaltet sich schwieriger als gedacht. Obwohl hier am Darling Harbour ein Restaurant neben dem anderen steht, bekommen wir keinen Platz - Menschen tummeln sich hier, als würde es was umsonst geben. Wir haben keine Lust, uns in die Schlangen der Wartenden einzureihen, und laufen hinunter zu den Circular Quays, der Fähr- und Wassertaxi-Anlegestelle gleich neben der Old Harbour Bridge. Hier sind die Lokale etwas rustikaler, dafür bekommen wir sofort einen netten Tisch im Freien unter einem Baldachin und kuschelwarmem Heizstrahler. Die Preise sind hier um einiges moderater als die auf der Edelmeile vorhin. Pietätlos wie wir sind, muss es heute Fisch sein. So genießen wir bei köstlichem King Clip und Wein das Treiben am Hafen, gucken den Fähren beim An- und Ablegen zu und lauschen den Klängen der Straßenmusiker. Eine Runde drehen wir noch um das Quay und lassen uns von den Lichtern der Stadt sowie dem grandiosen Ausblick auf die abendlich beleuchtete Oper verzaubern, ehe wir zur "Titanic" zurückkehren.

   Heute ist's ganz schön frisch, es nieselt aus tief hängenden Wolken - der Südsommer lässt grüßen. Eingepackt in unsere wärmsten Klamotten machen wir uns denn auf zu den Circular Quays - wir wollen mit der einen oder anderen Fähre herumschippern und die Stadt vom Wasser aus erkunden. Bewaffnet mit einem Tagesticket besteigen wir zunächst das Schiff nach Manly, einem kleinen Badeort am Pazifischen Ozean. Als allererstes können wir ausgiebig die Oper bewundern, die selbst bei diesem trüben Tag einfach umwerfend aussieht in ihrer einzigartigen Architektur. Viel von der Stadt außer einer sich rasch entfernenden Skyline bekommen wir nicht mehr zu sehen. Von der Mitte der sich rapide erweiternden Mündung des Port Jackson erhaschen wir ab und zu einen Blick auf ferne, versteckte Vororte und Yachten an Bojen.
    Am Pier von Manly heißt das Bavarian Beer Cafe hungrige und durstige auf Fähren Wartende willkommen. Den Bären in Lederhose finden wir als Münchner ganz besonders apart: Entweder liegt eine Verwechslung mit Berlin vor - da würde aber die Lederhose nicht ganz passen, oder hat sich die unsägliche Geschichte des sich nach Bayern verirrten Problembären Bruno bis hierhier herumgesprochen. Egal, wir wollen nicht pingelig sein - lustig sieht er ja schon aus, der bayrische Bär.
   Eine kalte Meeresbrise weht uns auf dem Weg durch das Örtchen zum Strand entgegen. Erstaunlich, wie viele Eiserne es dennoch gibt, die Beach Life genießen, im T-Shirt im Sand liegen oder in Badezeug Ball spielen. Uns ist kalt, wir marschieren zügig die Uferpromenade entlang und bleiben
nur ab und zu stehen, um den Wellenreitern beim Trockentraining zuzusehen. Die haben wenigstens Neoprenhosen an. Uns knurrt langsam der Magen, wir suchen ein warmes Plätzchen im Innern eines Strandbistros auf - heute ist es selbst unter den Heizstrahlern draußen ziemlich ungemütlich.
   Auf dem Rückweg zur Fähre verführt uns ein nett dekoriertes Schaufenster zum spontanen Einkauf diverser Mitbringsel. Wir erstehen zwei Bumerangs, ein kompaktes Didgeridoo, ein Briefmarkenheftchen, ein "David's Parking Only" Schild sowie zwei gelbe Achtung-Schilder, "Crocodiles" und "Wombats crossing". Etwas wie ein Kunsthandwerks-Markt mit nettem Krimskrams war bisher nirgendwo zu finden. Und sicher ist sicher - jetzt haben wir etwas für unsere Lieben daheim.
   Unser Tagesticket wollen wir natürlich ausnützen und besteigen eine Stunde später an den Quays die Fähre nach Paramatta - hinein in die berüchtigten Sümpfe, wo in Kolonialzeiten die Gefangenen darben mussten. Diesen Ausflug hätten wir uns sparen können - diese längste aller Fährenrouten ist nur langweilig, ab und zu gibts ein paar schmucke Villen zu sehen, und Paramatta selbst haben wir auch ignoriert - nach einem Blick von der Anlegestelle auf reichlich uninteressante Mietshäuser wollen wir lieber schnellstmöglich zurück nach Sydney.
   Wären wir besser dort geblieben und herumgelaufen! Inzwischen scheint warm die Sonne. Kurz vorm Untergehen ist sie, als wir dann von der Fähre steigen, und eine Stunde Tageslicht können wir gerade noch so nutzen, um uns die Oper und unmittelbare Umgebung etwas näher anzusehen. Aus allen Richtungen strömen die Konzertbesucher herbei, darunter auch unsere beiden Lehrer in feinem Zwirn. Im Gegensatz zu uns haben sie sich offensichtlich besser auf den hiesigen Aufenthalt vorbereitet und, wie sie ganz stolz erzählen, ein dreiviertel Jahr im Voraus schon Karten für heute gesichert. Wir müssen zugeben: toll! Da haben wir noch nicht mal gewusst, wann wir Urlaub machen können. Unsere Sumpffahrt behalten wir lieber für uns, wünschen ihnen einen wunderschönen Abend und begeben uns an einen kulturell nicht ganz so anspruchsvollen Ort, nämlich zu unserm Restaurant an den Circular Quays. Hier lassen wir den Tag noch einmal Revue passieren und überlegen, ob wir uns morgen ausführlicher der Stadt widmen oder den geplanten Ausflug in die Blue Mountains inklusive Bahnfahrt mit der "Zig Zag Railway" unternehmen sollen.

   Heute scheint die Sonne und es ist herrlich warm - der ideale Tag für ausgedehnte Stadtspaziergänge, Besichtigungen oder gar Bootsfahrten. Aber das hatten wir, teilweise zumindest, gestern schon - heute geht's in die Berge, in den Blue Mountain National Park, um die 120 Kilometer westlich von Sydney. Zu unserer Freude finden wir anhand des Stadtplans sofort auf den richtigen Highway - die Beschilderung ist super und die Orientierung hier einfacher als befürchtet. Die Landschaft wird mit jedem Kilometer hügeliger und grüner, zuletzt schlängelt sich die Straße immer höher hinauf durch üppige Wälder. Wir sind schon gespannt auf die Fahrt mit der Zig Zag Railway, eine historische, kleine Eisenbahn, bei der - wie wir im Reiseführer gelesen haben - die Wagons im Zickzack-Kurs abwechselnd vor- und rückwärts hinaufgezogen- und geschoben werden, da kein Ausfahren von Kurven möglich ist.
   Am Parkeingang, wo wir uns nach den Abfahrtszeiten erkundigen, erfahren wir, dass der Zug überhaupt nicht fährt, da er gerade überholt wird. Schade! So gönnen wir uns eben ein paar Meilen weiter in dem kleinen Städtchen Katoomba einen längeren Aufenthalt und einen ausgedehnten Spaziergang am Rand des Jamison-Tals. Atemberaubende Einblicke in dicht bewaldete Schluchten tun sich vor uns auf, so weit das Auge reicht. Bunte Papageien begleiten uns krächzend auf dem Weg zwischen riesigen Eukalyptusbäumen und giftgrünen Monsterfarnen. Wirklich schade, hier nur eine kurze Stippvisite einlegen zu können. Einen hübschen Anblick vom Echo Point aus bietet die Felsformation "The Three Sisters". Wie wir im Reiseführer lesen, verdanken die Blue Mountains ihren romantisch klingenden Namen einem eher schnöden Phänomen, nämlich der blauen Dunstglocke von Sydney, die vom Pazifik landeinwärts geweht wird und sich hier wie ein Schleier über die Eukalypten legt.

   Ein lohnender Abstecher auf dem Rückweg nach Sydney ist Featherdale, ein kleiner Busch-Zoo, in dem man - zumindest teilweise - auf Tuchfühlung mit der endemischen Tierwelt gehen kann. Wir wundern uns, als der Kassierer fragt, ob wir Regenschirme haben möchten. Er meint, es wären seine zwei letzten, und es wird gleich regnen. Wir nehmen sie. Und tatsächlich: Es braut sich gerade etwas Gröberes in unmittelbarer Nähe zusammen - wir haben es überhaupt nicht bemerkt, muss schnell gegangen sein. Nach der Begrüßung seitens eines vorwitzigen Wallabys gleich am Eingang fallen auch schon die ersten Tropfen. Das kennen wir: Blitzschnell sausen wir zum Cafe gleich um die Ecke. Im Schutz des Vordachs warten wir mit anderen Besuchern den ungefähr zehnminütigen Wolkenbruch ab, bis die Sonne wieder etwas hervorkommt. Ein wenig tröpfelt es noch, als wir unseren Rundgang antreten.
   Gelangweilt gibt sich das Exemplar auf der Koala-Station - wahrscheinlich hat es das Fotografieren gehörig satt. Den Wombats gucken wir lange zu, leider haben wir in freier Wildbahn außer einem toten im Straßengraben keines gesichtet. Schön, dass wir hier alle, die wir sonst nur von Achtung-Schildern her kennen, in natura und aus nächster Nähe sehen. Vor den Kängurus haben wir etwas Respekt, sie sind recht distanzlos und haben ganz nette Krallen. Aber ihr Interesse erlischt schnell, wenn nicht sofort etwas Fressbares herausgerückt wird.
   Unser Aufenthalt hier fällt etwas länger aus als geplant. Bei der Rückkehr nach Sydney dämmert es bereits, und somit haben wir es, wie so oft auf unseren Reisen, wieder mal geschafft, einer attraktiven Stadt nicht die gebührende Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Für einen ausgedehnteren Bummel in unserem Viertel bis hinunter an die Circular Quays, über weihnachtlich geschmückte Plätze und entlang den hübsch beleuchteten Piers, einen letzten Blick auf die Old Harbour Bridge und die Oper reicht es noch, dann geht's zum Abschiedsessen in unser kleines Restaurant unter den Heizstrahler. Morgen treten wir die letzte Etappe unseres Australien-Abenteuers an: Mittags fliegen wir weiter in tropischere Gefilde, nach Cairns, Queensland - und dort wird geheiratet! Wir gehen mal davon aus, dass es auch klappt (und die organisierte Standesbeamtin nicht gerade Mumps hat oder anderweitig verhindert ist...).